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Loire - La Finesse

Das lange, weite Tal der Loire bildet die ausgedehnteste Weinregion Frankreichs. Es erstreckt sich vom Zentralmassiv und der Auvergne über den reiche, mit unzähligen majestätischen Schlössern bestückten und geschmückten Mittellauf des Flusses, beliebtes Ziel für Frankreich-Reisende, bis hin zur Altantik-Mündung, die gleichzeitig den südlichen Abschluss der Bretagne bildet. Schon dort, wo der Fluss die Höhen des Zentralmassivs verlässt und seinen langen Weg beginnt, erstrecken sich die ersten Weinberge, die allerdings keine AOC-Bezeichnugen tragen. Entlang des gesamten Laufs der Loire und an den Ufern ihrer Nebenflüsse findet die Rebe der Sonne zugewandte Hänge, die ihr günstige Bedingungen für die Reife bieten. Rund 50 000 Hektar Rebfläche besitzt die Region, die damit immerhin halb so groß wie das Bordelais und sogar eine Spur größer als das Rhône-Tal ist.

Man vermutet, dass bereits in den ersten Jahrzehnten unserer Zeitrechnung entlang des Flusses Weinbau betrieben wurde, aber den sicheren Nachweis gibt es erst für den Oberlauf, genauer gesagte die Auvergne, ab dem 5. Jahrhundert. Bereits im 11. Jahrhundert entdeckten die Holländer die Weine der Loire, die sie über den Fluss und den Atlantik leicht in ihre Heimat verschiffen konnten. Auch in England waren die Weine von Poitou und Anjou zu jener Zeit ungemein populär, doch mit dem Aufschwung von Bordeaux sanken die Marktchancen der Loire auf lange Zeit gegen null.

Die Ausdehnung der Region bringt es mit sich, dass die Terroirs und in der Folge auch die Weine äußerst unterschiedlich ausfallen. Zwischen dem kontinentalen Klima des Zentralmassivs oder des Gebiets um Sancerre einerseits und dem atlantisch-milden Land des Muscadet an der Loire-Mündung gibt es fast keine Gemeinsamkeiten - außer dass sie am selben Fluss liegen. Obwohl die Champagne, das Elsass und natürlich auch die deutschen Weinbaugebiete ein ganzes Stück weiter nördlich liegen, markiert die Loire für das atlantische Frankreich die nördliche Weinbaugrenze.

Daher sind auch die klimatischen Bedingungen insgesamt weit instabiler als in südlicheren Regionen, und die Jahrgangsunterschiede fallen markanter aus als an der Rhône oder im Languedoc.


Sieben auf einen Streich

Mit Blick auf den Weinbau kann man die Region Loire in sieben Bereiche unterteilen. Unmittelbar an der Mündung des Flusses, mit Weinbergen bis an den Atlantik, liegt das Land von Muscadet und Gros Plant, das Pays Nantais, dessen Weinberge sich zum großen Teil südlich der Loire ausdehnen. Den zweiten Bereich, den Beginn des „Gartens Frankreichs", wie das Gebiet genannt wird, bilden Anjou und Saumur, die Heimat des weißen Verwandlungskünstlers Chenin Blanc. Daran schließt das Reich des Cabernet Franc an, die Touraine, die sich von Bourgueil und Chinon bis Blois erstreckt. Das Umland der Stadt Orléans bildet ein kleines, isoliertes VDQS-Gebiet, bevor es hinter Gien in die Hochburg des Sauvignon Blanc geht - Sancerre und Pouilly. An der oberen Loire findet man nur noch VDQS-Gebiete (St. Pourcain, Côte Roannaise, Côte de Forez  und Côtes d´Auvergne), und im Zentrum hat das einst so berühmte Poitou eine kleine Weinproduktion über die Zeiten retten können.

So vielseitig die Weine der Loire auch sind, immer bleiben Frische und Finesse ihr gemeinsamer Nenner. Das verdanken sie der natürlichen Säure, die den Trauben an der nördlichen Klimagrenze des Weinbaus auch bei voller Physiologischer Reife fast immer erhalten bleibt. Dabei hat die Loire für jede Gelegenheit den richtigen Wein: Weiße, Rosés und Rotweine werden hier ebenso erzeugt wie Schaum- und Perlweine. Die Palette reicht vom einfachen bis zum eleganten Rosé, vom leichten, fruchtbetonten bis zum vielschichtigen, alterungsfähigen Roten, vom vordergründigen Weißen bis zu süffigen oder opulenten, teilweise unglaublich komplexen Süßweinen, von unkomplizierten Perlweinen bis zu exquisiten Schaumweinen.

Wenn sich an der  Loire kein mit Burgund, Champagne oder Bordeaux vergleichbarer Renommierweinbau entwickeln  konnte, dann darf man die Schuld dafür getrost bei den Parisern suchen. Kaum ein Bistro, kaum eine Brasserie oder ein Restaurant gibt es in der Hauptstadt, das nicht einen der angenehmen, günstigen Tropfen der Loire, einen Muscadet oder Sauvignon, Cabernet oder Gamay auf seiner Weinkarte führt. Die leicht Absetzbarkeit der Weine hat, wie immer und überall in der Weinwelt, den Qualitätsehrgeiz der Winzer nicht eben gefördert. Dennoch hat das Gebiet heute einzigartige Weine zu bieten, und dafür sind vor allem drei Rebsorten verantwortlich.


Drei verkannte Genies

An der Spitze steht der äußerst vielseitige Chenin oder Chenin Blanc, der hier auch Pineau de la Loire genannt wird. Aus ihm wird fast jede erdenkliche Weißweinart gekeltert, vom trockenen Leichten bis zum schweren Süßwein oder sogar aufgespriteten Likörwein. In Frankreich ist Chenin abseits der Loire nicht sehr weit verbreitet, dafür aber kultiviert man ihn umso mehr in Südafrika - hier wird die Sorte Stehen genannt -, in Kalifornien und Südamerika. Die aus Chenin gekelterten Süßweine der Loire zeichnen sich durch ungewöhnliche Alterungsfähigkeit aus. Vouvray oder Coteaux du Layon der Jahrgänge 1874 oder 1893 können noch heute begeistern.

Cabernet Franc, im Bordelais gerne spöttisch als der kleine Bruder des Cabernet Sauvignon gezeichnet - liefert an der Loire sortenrein gekeltert, vielschichtige, elegante und haltbare Rotweine. Sie sind zwar etwas  leichter als im Bordelais, aber nicht schlechter. Last, but not least nimmt der Sauvignon Blanc eine Sonderstellung ein. Vor allem im Bereich von Sancerre und Pouilly werden aus ihm Weine von enormer Rasse und Finesse gekeltert, die sich wohltuend von den oft sehr vordergründigen Weißweinen des Bordelais auf Sauvignon-Basis abheben.

Entnommen dem vorzüglichen und umfangreichen Werk "Wein" von André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert.

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