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Chablis - Die Frostige

Chablis Geschichte in den letzten fünfzig Jahren ist ein Lehrstück über die Zusammenhänge von Weinbautechnik und Weinbau-Öffentlichkeit. Aus etwa 500 Hektar Reben Mitte der 1950er Jahre und 750 Hektar zu Beginn der 1970er Jahre ist die Ertragsfläche von Chablis und seinen Nachbargemeinden seither förmlich explodiert - auf gegenwärtig 4 000 Hektar. An dieser Entwicklung haben die Medien maßgeblichen Anteil. Zu Beginn der 1980er Jahre machten sie Chablis zum Inbegriff des anspruchvollen, von französischer Lebensart durchdrungenen trockenen Weißweins.

Chablis ist wie kaum ein zweites wichtiges Anbaugebiet der Welt vom Frost bedroht. Bis weit in den Mai hinein müssen die Winzer damit rechnen, dass Spätfröste dem Austrieb schweren Schaden zufügen. Die extremen Jahre 1957 und 1961 brachten die Winzer in eine kritische Situation - die umso mehr, als selbst die Grands Crus damals nur sehr niedrige Preise erzielen konnten. Inzwischen haben sich zwei Techniken der Frostbekämpfung etabliert: Das nahe liegende Verfahren liegt im Heizen des Weinbergs, wofür man Ölöfen in die Rebzeilen stellt. Das zweite Verfahren nutzt einen paradox anmutenden Effekt. Bei einsetzendem Frost werden die Reben mit Wasser besprüht. Dadurch bildet sich ein Eisfilm auf den Reben, der den jungen Austrieb wie in einem Miniatur-Iglu schützt.

Da beider Verfahren ihre spezifischen Vor- und Nachteile haben, gibt ihre Verwendung zu heftigen Diskussionen Anlass, allerdings haben beide bislang offensichtlich hinreichend gut funktioniert, um den Weinbau Chablis` zu erhalten und ihn sogar zu einer neuerlichen Blüte zu führen. Die Frage des Frostschutzes illustriert, warum Chablis als Medienthema so große Karriere machen konnte: Es ist zum einen die Bedrohtheit dieses Glücks, das weltweit das Interesse der Weinkenner weckt. Zum Zweiten ist es die Tendenz der Winzer, polarisierte Standpunkte einzunehmen, die den Geschichten Würze verleiht.

Die Geologie Chablis` und seiner Nachbargemeinden ist für die Typologie - und die Klassifikation - von größter Bedeutung. Das Gebiet liegt am Rand des Pariser Beckens auf einer Gesteinsformation aus dem oberen Jura. Das andere Ende dieses Beckens tritt in Südengland um den Ort Kimmeridge zutage, weshalb das entsprechende Bodengemisch aus Kalk, Ton und fossilen Muscheln als Kimmeridge bezeichnet wird. Alle Grand- und Premier-Cru-Lagen Chablis` liegen auf solchen Böden. Bis vor wenigen Jahren galt die ebenfalls im Gebiet anzutreffende, nächst jüngere Kalkschicht, der „Portland"-Kalk, als minderwertig.

Portland-Böden bekamen einzig die AOC „Petit Chablis" zuerkannt. Inzwischen sind die Meinungen auch über dieses Bewertungskriterium geteilt. Zweifellos steht jedoch der für guten Chablis charakteristische Feuersteinton in direktem Zusammenhang mit dem Kimmeridge-Kalk. Ebenso sicher ist, dass gerade in Chablis mit seinem Grenzklima die Qualität einer Lage nicht allein vom Bodentyp, sondern auch von kleinklimatischen Eigenschaften abhängt.
Zuletzt gibt es auch um den Ausbau der Chablis-Weine Dispute. Historische Bedeutung hat die so genannte feuillette, ein Holzfass von 132 Liter Fassungsvermögen.

Ebenso traditionell waren in vergangenen  Jahrzehnten wohl aber auch die Fehltöne, die altes Holz während Gärung und Ausbau hervorruft. Die Einführung von Edelstahltank und kontrollierter Gärtemperatur gehört zu den wichtigsten technischen Innovationen, die den neuen Ruf des Chablis ermöglicht haben. In den 1980er Jahren kamen unter dem Eindruck des weltweiten Trends auch wieder Barriques in Mode. Vergärung im Holz und das Aufrühren der Feinhefe (bâtonnage) sind dabei als Vinifikationstechniken weniger umstritten als an der Côte de Beaune. Manche Produzenten vergären im Tank und legen ihre Weine erst nach Ende der malolaktischen Gärung ins mehr oder weniger neue Eichenfass. Während die Befürworter betonen, der Holzfassausbau runde die zuweilen recht kantige Säure des Chablis ab und bereichere das Aromenspektrum, vermissen die Befürworter des Stahltanks an Barrique-Chablis gerade den mineralischen Kern, der den Gebietstyp ausmacht.

Der Weinbau in Chablis hat in den letzten zwanzig Jahren auf vielerlei Art eine neue Qualität bekommen. Technische Hilfen (unter anderem auch die maschinelle Lese) haben die Wirtschaftlichkeit verbessert, das weltweit gestiegene Weinbewusstsein hat die Nachfrage erhöht. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass das Auf und Ab der Region ein für alle Mal überwunden ist - zu unwägbar sind alleine die Klimarisiken. Dennoch haben die Winzer Chablis` die Weichen dafür gestellt, dass mögliche Schwankungen in ihren Extremen gedämpft werden können. Eine Region, deren Weinbau schon im 12. Jahrhundert durch die Zisterzienser gefördert worden war, eine Region, die  jahrhundertelang den Pariser Karaffenwein lieferte, eine Region schließlich, die schon im 16. Jahrhundert das Interesse englischer Weinkenner auf sich zog und die 1770 den ersten Versteigerungserfolg eines weißen Burgunders bei Christie`s in London errang, wird sich auch in Zukunft nicht unterkriegen lassen.

Ein guter Chablis ist ein Genuss - vom grüngelben Funkeln über den reizvollen Feuersteinduft bis zum Zusammenspiel von Körper und Säure, eine Nervigkeit, die den Gebietstyp ausmacht. Seine mineralische Verdichtung muss einen jungen Chablis geradezu karg erscheinen lassen. Diese Proportionen finden sich - dem Ideal nach - in verschiedene Güteklassen wieder: Die Weine der Grand-Cru-Stufe zeigen alles am intensivsten, dennoch bewahren sie im Vergleich zu den Chardonnays der Côte de Beaune immer eine kühle Stilistik. Die Premiers Crus können mit Eleganz  und Mineralik die typischsten Weine Chablis` sein, aber leider auch durch Neutralität und Magerkeit die enttäuschendsten.

Die Premier-Cru-Zonen wurden in den letzten zwanzig Jahren besonders stark ausgeweitet. Junge Reben sind für einige mittelmäßige Resultate verantwortlich, aber bestimmt schaden auch die relativ hohen Hektarerträge. Es gab Jahre, da hatten die Petit-Chablis-Lagen niedrigere Hektarerträge zu verzeichnen als die Premiers Crus. Auch beim einfachen Chablis ist die qualitative Streuung groß. Wo die Idee, den Prototyp Chablis als einfachen, jung genussfertigen Tischwein zu produzieren, noch authentisch umgesetzt wird, ist der Petit Chablis eine sehr schätzenswerte Spezialität.

(entnommen aus dem vorzüglichen und umfangreichen Werk „Wein" vom André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert)

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